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Brausender Verkehr, Baustellen, Abfall. Du stehst an der Piazza Enrico De Nicola in Neapel, einem weitläufigen Platz nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt. Nichts scheint dich länger an diesem Ort zu halten.

Da entdeckst du ihn, den Eingang zu Made in Cloister. Nur ein schlichtes Schild lässt dich sicher sein, dass du hier richtig bist.

Metamorphosen

Drinnen öffnet sich eine andere Welt. Überrascht von der Ruhe findest du dich im Hof eines ehemaligen Kreuzgangs wieder. Er gehört zur benachbarten Kirche Santa Caterina a Formiello und ist einer der wenigen Zeugen aus der Zeit der Renaissance in Neapel. Grosse Teile der originalen Fresken aus dem frühen 16. Jahrhundert mit dem Leben der Heiligen Katharina sind in den Arkaden noch erhalten. Dein Blick aber bleibt anderswo hängen, am riesigen hölzernen Dachstuhl, der in den Innenhof des Kreuzgangs eingebaut wurde und ihn überdeckt. Wo früher die Mönche den Klostergarten kultivierten, entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Wollfabrik. Sie war Teil des frühen Industrialisierungsprogramms der Bourbonen, die versuchten, die wirtschaftliche Rückständigkeit ihres Königreichs aufzuholen. Die massiven Balken des Dachstuhls dienten als überdimensionierten Trocknungsständer für die Wolle, die vor allem zu Uniformen verarbeitet wurde. Über 400 Personen fanden hier in den florierenden Zeiten einen Arbeitsplatz.

Die massiven Balken des Dachstuhls dienten als überdimensionierten Trocknungsständer für die Wolle.

Mit der italienischen Einigung 1861 allerdings geriet die Wollfabrik, wie viele Betriebe in Süditalien, in eine tiefe Krise und musste schliessen. Der Kreuzgang wurde unter verschiedenen Eigentümern aufgeteilt, die ihn als Lagerhalle, Schreinerwerkstatt und Autowaschanlage nutzten. Säulen wurden entfernt, damit Lastwagen besser manövrieren konnten, Arkaden zugemauert, die Fresken überdeckt. Für Jahrzehnte wurden die Gebäude sich selbst überlassen. In diesem verkommenen Zustand begann 2012 eine neue Geschichte.

Kultur als Motor der sozialen Erneuerung

Zwei couragierte UnternehmerInnen setzten sich damals zum Ziel, den Kreuzgang als Teil des kulturellen Erbes Neapels zu retten und ihn zum Ausgangspunkt zu machen, für eine urbane und soziale Erneuerung des ganzen Quartiers Porta Capuana. Das umliegende Gebiet nämlich hatte in den letzten Jahrzehnten dasselbe Schicksal ereilt wie der Kreuzgang: es litt unter Vernachlässigung, Zerfall, Kriminalität. Obwohl es nur wenige Meter von der historischen Altstadt entfernt liegt, geriet das Quartier ins Abseits. Diese Entwicklung wollte Made in Cloister, das heute eine Stiftung ist, umkehren.

Die ersten Jahre standen im Zeichen der Renovation, die gänzlich mit privaten Geldern und Spenden finanziert wurde. Der Kreuzgang wurde von seinen fremden Einbauten befreit und sorgfältig restauriert. Der Dachstuhl, der in wundersamer Weise die über hundert Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg überlebt hat, ist eines der seltenen Zeugnisse der frühen Industriearchitektur in der Stadt. Heute wird man berührt von der besinnlichen und lichtdurchfluteten Atmosphäre des Gebäudes, das soviel(e) Geschichte(n) in sich vereint. Weitere Räume des Klosterkomplexes wurden wie aus Trümmern geborgen und in Stand gestellt. In ihnen entstand ein Begegnungs-und Schaffensort für Handwerker, Künstler und Designer aus dem In- und Ausland. Sie kommen hierher, um sich mit den vielfältigen neapolitanischen Kunst- und Handwerkstraditionen auseinanderzusetzen, mit Bauformen und Materialien, mit Herstellungsweisen und Techniken, mit künstlerischen Ideen und kulturellen Strömungen. Einheimische maestri artigiani aus Holzschnitzateliers, Buchbindereien, Porzellanmanufakturen und Schmiedeeisenwerkstätten sind daran interessiert, ihr jahrhundertealtes Wissen zur Verfügung zu stellen für eine innovative, zeitgemässe Erneuerung ihres Handwerks.

Es sind Orte, die uns helfen, Stereotypen zu überwinden, an denen Neapel seit Jahrhunderten leidet.

Im Kreuzgang werden seit 2016 regelmässig Ausstellungen organisiert, welche die Ergebnisse dieses Prozesses einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Besonders die Quartierbevölkerung ist eingeladen, in den Dialog einzutreten. Jugendliche haben vor Ort die Möglichkeit, eine Ausbildung in den traditionellen Handwerksberufen zu absolvieren. Aus der architektonischen Instandsetzung ist eine produktive und soziale Erneuerung geworden. Mittlerweile ist Made in Cloister Teil eines kulturellen Netzwerks, an dem sich lokale Werkstätten und Quartierorganisationen, aber auch Schulen, Museen und Behörden der Stadt sowie nationale und internationale Unternehmen beteiligen. Der gemeinsame Anspruch ist und bleibt, die Lebensqualität der Quartierbevölkerung zu verbessern.

Identität schaffen

Made in Cloister ist nicht das einzige Projekt in Neapel, dass die urbane Erneuerung zum Thema hat und aus privater Initiative entstanden ist. Erfreulicherweise sind in anderen Stadtteilen vergleichbare Bestrebungen im Gang. Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, vor denen Neapel in den nächsten Jahren steht, mögen solche Projekte verblassen. Dennoch verdienen sie grössten Respekt. Sie sind Ansatzpunkte für die Menschen, die verlorene Identität ihres Quartiers wiederzufinden und gemeinsam zu erneuern. Im Idealfall kann dieser Prozess in naher Zukunft stabilisiert und Arbeitsplätze geschaffen werden, die bleiben. Als Tourist:innen können wir unseren Beitrag leisten, indem wir uns Zeit nehmen auch für solche Sehenswürdigkeiten abseits der überfüllten Gassen. Es sind Orte, die nicht nur durch ihre Schönheit faszinieren, sondern uns helfen, Stereotypen zu überwinden, an denen Neapel seit Jahrhunderten leidet.

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