Dall’eruzione vulcanica alla rivoluzione culturale
Zerstörung und Erneuerung am Vesuv
Gekommen war ich, um mehr über die antike Stadt Herculaneum zu erfahren, die vor fast 2000 Jahren vom Vesuv verschüttet worden war. Gegangen bin ich mit einem neuen Blick auf unser kulturelles Erbe schlechthin und auf dessen Rolle in modernen Gesellschaften.
Der nachfolgende Text ist nach meiner Rückkehr in die Schweiz entstanden. Ich hatte das Bedürfnis, die vielen Informationen zu ordnen und die losen Fäden in die Hand zu nehmen. Entstanden ist eine Geschichte vom antiken Herculaneum bis zum modernen Ercolano, eine Geschichte von Zerstörung und Erneuerung, von Vernachlässigung und Wertschätzung, von Tradition und Innovation. Der Text ist roh und lang. Webexperten haben mir versichert, er sei viel zu lang. Aber manchmal braucht es einen langen Atem, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Es ist mitten in der Nacht im Herbst des Jahres 79 n. Chr. Mehr als zwölf Stunden sind vergangen, seit der Vesuv explosionsartig ausgebrochen ist und gasreiches magmatisches Gestein in die Luft schleudert. Über dem Schlot steht eine riesige Eruptionssäule, die 30 Kilometer in die Höhe reicht. Ein leichter Nordwestwind trägt die Eruptionswolke an die südöstlichen Abhänge des Vesuvs, wo sie in einem erstickenden Regen aus Bimsstein und Asche niedergeht. In Pompeji und Stabiae versuchen tausende von Menschen, sich in Sicherheit zu bringen. Allerdings wird das Fortkommen immer schwieriger, hat sich doch in den Strassen schon eine zwei Meter hohe Schicht aus zentimetergrossen Bimssteinfragmenten, sogenannte Lapilli, angesammelt. In Pompeji stürzen zahlreiche Dächer und Mauern ein, weil sie dem Gewicht der Ablagerungen nicht standhalten. Viele Menschen, die innerhalb der Gebäude Schutz gesucht haben, kommen ums Leben.
Herculaneum hingegen, das nur etwa 15 Kilometer weiter nördlich liegt, bleibt dank der vorherrschenden Windrichtung von den Fallablagerungen aus der Eruptionswolke verschont. Die Strassen sind dennoch leergefegt. Die Bewohner sind durch die grollenden Erschütterungen im nahen Berg aufgeschreckt worden. Sie haben sich zu hunderten an den Strand begeben und dort in mehreren Gewölben Zuflucht gesucht. Dort hoffen sie, vom Meer her gerettet zu werden. Was sie nicht wissen können, ist, dass um diese Zeit oben am Vesuv die Energie des Ausbruchs zu sinken beginnt.
Sie haben sich zu hunderten an den Strand begeben und dort in den Gewölben Zuflucht gesucht.
Die riesige Eruptionssäule bricht in sich zusammen und löst eine Folge von pyroklastischen Strömen aus, das sind Lawinen aus extrem heissen Gasen, feinsten Bimssteinen und Asche, welche die Abhänge des Vesuvs hinunterrollen. Der erste dieser turbulenten Ströme rast nach Mitternacht mit etwa 80 Kilometer pro Stunde und einer Temperatur von ungefähr 400° C durch Herculaneum. Er löscht innert Sekundenbruchteilen jegliches Leben aus, auch in den Gewölben am Strand. Weitere Lawinen folgen in den nächsten Stunden, sie reissen Dächer von den Häusern und dringen in jeden noch so kleinen Hohlraum. 24 Stunden nach dem Ausbruch des Vesuvs ist Herculaneum unter einer kompakten Schicht vulkanischen Materials begraben, die eine Höhe von 15 bis 20 Metern erreicht. Die Küstenlinie wird um 400 Meter ins Meer hinaus verschoben. Das pulsierende Leben in der wohlhabenden Stadt am Golf von Neapel kommt abrupt zum Stillstand.
Fast 1700 Jahre später an denselben Abhängen des Vesuvs: Auf den fruchtbaren vulkanischen Ablagerungen über Herculaneum war im Verlauf des Mittelalters eine neue Siedlung entstanden, die den Namen Resina trug. An der Oberfläche erinnerte nichts an die antike Vergangenheit im Untergrund, obwohl die Kenntnisse über Herculaneum nie ganz verschwunden waren. Schon seit dem 13. Jahrhundert sind Bewohner der Region immer mal wieder auf antike Überreste gestossen, hatten aber das Wissen darüber für sich behalten.
Karl von Bourbon realisierte schnell, welches kulturpolitische Potential unter seinen Füssen schlummerte.
Dies änderte sich 1734, als Karl von Bourbon die Herrschaft im Königreich Neapel und Sizilien übernahm. Der junge König hatte grosse politische Ambitionen. Er wollte seine Dynastie möglichst schnell festigen und im labilen Gleichgewicht der europäischen Mächte günstig positionieren. Dazu gehörte auch der prunkvolle Ausbau seines Königshofes in Neapel, der mit Versailles konkurrieren sollte. Bereits 1736 begann er mit dem Bau einer neuen Sommerresidenz in Portici, in unmittelbarer Nähe von Resina. Spätestens damals kam ihm zu Ohren, dass gerade vor seiner Haustüre spektakuläre antike Funde gemacht worden waren. Einige Jahre zuvor hatte in Resina der Kommandant der österreichischen Kavallerie das prunkvoll ausgestattete antike Theater von Herculaneum entdeckt, nachdem ein lokaler Bauer beim Bau eines Brunnenschachts zufällig ein paar Marmorfragmente zutage gefördert hatte. Neun kostbare Statuen aus diesen Grabungen hatten als Geschenk den Weg an die Fürstenhöfe in Wien und Dresden gefunden und dort eine grosse Begeisterung ausgelöst. Karl von Bourbon realisierte schnell, welches kulturpolitische Potential unter seinen Füssen schlummerte.
1738 liess der König die bisherigen planlosen Grabungen beim antiken Theater von Herculaneum weiterführen und als gross angelegtes königliches Programm aufgleisen. Unter der Leitung von Militäringenieuren und dem Einsatz unzähliger Kriegsgefangener wurde auf dem Niveau der antiken Stadt ein dichtes Netz unterirdischer Stollen gegraben, nicht mehr als zwei Meter hoch und einen Meter breit. Der technische, physische und finanzielle Aufwand war enorm, mussten doch die meterhohen kompakten Ablagerungen durchbohrt werden. Im schwachen Licht von Laternen entdeckten die Ausgräber die Stadt und drangen in die hintersten Winkel von Gebäuden vor, immer auf der Suche nach kostbaren antiken Objekten. Dabei brachten sie nicht nur Skulpturen, Mobiliar, Schmuckstücke und Haushaltsgegenstände an die Oberfläche, sondern auch Marmorböden und Malereien, die sie rücksichtslos aus den Böden und Wänden entfernten. Gelegentlich wurden sogar Wandmalereien, die sich als zu wenig wertvoll erwiesen, absichtlich zerstört, um sie nicht in fremde Hände geraten zu lassen. Immerhin erstellten die Ingenieure genaue Pläne ihrer Ausgrabungen. Viele Gebäude sind bis heute nur aus diesen bourbonischen Aufzeichnungen bekannt, so auch der grösste Teil der monumentalen Villa dei Papiri, auf die der Schweizer Ingenieur Karl Weber im Jahr 1750 vor den Stadtmauern stiess.
Bis heute handelt es sich bei diesen Papyri um die Resten der einzigen antiken Bibliothek, die in Originalen auf uns gekommen ist.
Die grossen Investitionen lohnten sich für den bourbonischen Königshof. Die geborgenen Fundstücke gelangten in den neu erbauten Palast in Portici, wo sie bald 18 Säle füllten. Der Ruhm der königlichen Ausgrabungen in Herculaneum und der einzigartigen Antikensammlung verbreitete sich über ganz Europa. Angehörige der Bildungseliten, die auf der sogenannten Grand Tour durch Italien unterwegs waren, machten nun auch Station am Golf von Neapel. Im Fackelschein stiegen sie die unterirdischen Stollen hinab und bewunderten die antiken Objekte im Museum in Portici. Als dann in der Villa dei Papiri noch über 1800 verkohlte Papyrusrollen entdeckt und teilweise sogar entziffert wurden, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr. Bis heute handelt es sich bei diesen Papyri um die Resten der einzigen antiken Bibliothek, die in Originalen auf uns gekommen ist. Neapel hatte seinen Platz unter den grossen europäischen Fürstenhöfen und den wohlhabenden Eliten gefunden.
Doch die Stellung des bourbonischen Hofs war nicht unantastbar. Kritik an den rüden Grabungsmethoden, die den Fundkontext völlig ausser Acht liessen oder sogar mutwillig zerstörten, machte die Runde. Sie kamen unter anderem aus der Feder von Johann Joachim Winckelmann, dem europaweit bekannten Gelehrten und dem wissenschaftlichen Begründer der Klassischen Archäologie und der Kunstgeschichte. Dieser beklagte sich auch bitter über den eingeschränkten Zugang zu den Ausgrabungen. Das negative Licht, das dadurch auf das Königshaus fiel, beunruhigten die königlichen Ratgeber in Neapel, umso mehr als es dort zu einem Herrschaftswechsel gekommen war und der noch junge König, ein Sohn Karls von Bourbon, empfindlich auf Kritik reagierte.
Da kamen die positiven Nachrichten aus einer anderen antiken Stadt am Vesuv gerade recht: In Pompeji, wo die Ausgrabungen 1748 begonnen hatten, legten die Ausgräber einen Isis-Tempel und eine Gladiatorenkaserne frei, in der sich auch Skelette von Menschen befanden, die während des Ausbruchs im Gebäude Schutz gesucht hatten. Die Ausgrabungen waren unter freiem Himmel möglich, weil Pompeji lediglich von einer fünf bis sieben Meter hohen Ablagerungsschicht überdeckt war, die erst noch mehrheitlich aus leichten Lapilli bestand. Die Bedingungen waren also wesentlich günstiger als im benachbarten Herculaneum. Dieser Umstand trug dazu bei, dass die öffentliche Aufmerksamkeit sich immer mehr auf Pompeji richtete. Aus Angst vor einem weiteren Imageschaden wiesen die Bourbonen die Ausgräber an, die Funde an Ort und Stelle zu erhalten und nicht mehr von den Wänden abzuschlagen. Zudem wurde die Besichtigung für Besucher erleichtert. Dem bourbonischen König kam das wachsende Interesse an Pompeji entgegen. Hier konnte er sich und sein Königshaus in Szene setzen. Die Ausgrabungen in Herculaneum hingegen wurden im Jahr 1780 eingestellt.
Durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch fristete Herculaneum ein Schattendasein, obwohl der Sturz der Bourbonen und die Einigung Italiens 1860 grundsätzlich ein günstiges Umfeld für die Ausgrabungen am Vesuv schufen. Der Archäologie wurde geradezu eine wichtige Rolle in der italienischen Staatenbildung zugesprochen. Was konnte die «Wiedergeburt» Italiens und dessen hinaufbeschworene einstige Grösse besser illustrieren als Funde aus der glanzvollen Zeit des römischen Reiches? Von diesem Katalysator profitierte indes nur Pompeji, auch dank seines damaligen Direktors Giuseppe Fiorelli, der den amateurhaften Ausgrabungen ein Ende setzen wollte. Unter seiner Leitung kamen zum ersten Mal stratigrafische Methoden zum Einsatz, was zu deutlich besseren Grabungsergebnissen führte. Dadurch, dass er die Gebäude systematisch von oben her Schicht für Schicht freilegen liess, konnten viel mehr Strukturen und Dekorationen intakt geborgen werden als früher. Auch die wissenschaftliche Begleitung der Ausgrabungen wurde unter Fiorelli auf ein neues Niveau gehoben. Die weitverbreiteten Plünderungen und heimlichen Grabungen, die Pompeji vieler seiner Objekte beraubten, vermochte er allerdings nicht zu unterbinden.
Giuseppe Fiorelli wollte den amateurhaften Grabungen ein Ende setzen.
Neben den grossen Fortschritten bei den Grabungsmethoden wurde in Pompeji aber bald offensichtlich, dass die Erhaltung der Funde an Ort auch grosse Risiken in sich barg. Es dauerte nur wenige Jahre bis Wandmalereien, Marmorböden oder Stuckaturen durch Wind und Wetter verblichen oder komplett zerstört waren. Ende des 19. Jahrhunderts unternahmen die Ausgräber erstmals ernsthafte Versuche, gefährdete Fresken an der Wand zu konservieren. Sie brachten kleine Überdachungen an und experimentierten mit Überzügen aus Wachs. Auch erste «Rekonstruktionen» von Häusern, die das antike Alltagsleben plastisch nachzeichnen sollten, kamen in Mode. Pompeji war eines der grossen Übungsgelände, auf denen die Archäologie ihre ersten Schritte hin zu einer modernen Wissenschaft vollzog.
Während in Pompeji Haus um Haus freigelegt wurde, blieb es in Herculaneum ruhig.
Während in der Nachbarstadt Haus um Haus freigelegt wurde, blieb es in Herculaneum ruhig. Zwar wurden 1869 auf Initiative Fiorellis Grabungen unter freiem Himmel begonnen, sogar mit persönlicher finanzieller Unterstützung des italienischen Königs. Doch schon nach wenigen Jahren waren Geldgeber und Ausgräber durch die schwierigen äusseren Gegebenheiten wieder entmutigt und gaben auf. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten die besonderen Fähigkeiten eines Archäologen und das politische Klima in Italien zur gewaltigen Grabungskampagne, die innerhalb weniger Jahrzehnte die antike Stadt von Herculaneum ans Licht brachten.
1924 übernahm Amedeo Maiuri die Oberaufsicht über die archäologischen Stätten in Kampanien. Obwohl er auch in Pompeji die Ausgrabungen intensivierte, war es nun Herculaneum, auf das sich seine ganze Energie richtete. Endlich sollten die meterhohen vulkanischen Ablagerungen systematisch abgetragen und die antike Stadt grossflächig freigelegt werden. Maiuris Vorstellungen gingen jedoch weit über diejenigen seiner Vorgänger hinaus. Er hatte die Vision, alle Funde von Anfang an vor Ort zu konservieren, zu restaurieren und sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Seine ausserordentlichen organisatorischen und kommunikativen Fähigkeiten halfen ihm, eine äusserst komplexe Kampagne auf die Beine zu stellen und über drei Jahrzehnte durchzuziehen.
Die besondere Begabung eines Mannes allein hätte allerdings nicht gereicht. Maiuri profitierte erheblich vom politischen Umfeld in Italien, das seit 1922 von der Ideologie der Faschisten geprägt war. Archäologische Zeugnisse aus der römischen Antike passten gut in die Propaganda Benito Mussolinis, in der die Idealisierung und die Imitation des antiken Rom eine grosse Rolle spielten. Jede aufsehenerregende Entdeckung garantierte Maiuri die Weiterfinanzierung seiner Arbeiten. Die Ausgrabungen in Herculaneum hätten ohne die enormen finanziellen Zuwendungen des faschistischen Regimes nicht in dieser Form durchgeführt werden können.
Archäologische Zeugnisse aus der römischen Antike passten gut in die Propaganda Benito Mussolinis.
In Anwesenheit von König Vittorio Emmanuelle III. wurden die Ausgrabungen in Herculaneum 1927 feierlich eröffnet. Maiuri arbeitete mit einer grossen Zahl qualifizierter Arbeiter und unter Einsatz neuester Technik. Presslufthämmer erleichterten den Kampf gegen die mächtigen vulkanischen Ablagerungen. Der tonnenschwere Aushub wurde auf kleine Eisenbahnwagen geladen und mit Hilfe von Pferden zum nahegelegenen Strand abtransportiert. Bereits 1942 war praktisch das gesamte Gebiet, das heute als archäologische Stätte sichtbar ist, freigelegt. Zum Vorschein kam der südöstliche Teil einer römischen Küstenstadt, mit der Hauptstrasse, dem Decumanus maximus, und drei rechtwinklig verlaufenden Cardines. Nach heutigem Ermessen entspricht das ausgegrabene Gelände etwa einem Viertel des gesamten damaligen Stadtgebiets. Damit war Herculaneum wesentlich kleiner als Pompeji, mehr ein Dorf als eine Stadt mit etwa 5000 Einwohnern. Der weitaus grösste Teil der antiken Stadt ist immer noch vom modernen Ort Resina überbaut, der seit 1969 den Namen Ercolano trägt.
Herculaneum ist zwar kleiner als seine berühmte Nachbarstadt, weist aber Häuser auf, deren Obergeschosse aufgrund der kompakten Überdeckung ungewöhnlich intakt sind. Auch Dekoration und Innenausstattung sind einzigartig. In den vielfarbigen Fussböden mit ihren spektakulären Mustern wurde Marmor aus Afrika, Ägypten, Griechenland und Kleinasien verarbeitet. Ausserdem bewirkten die hohen Temperaturen der pyroklastischen Ströme eine sofortige Karbonisierung des organischen Materials. Zahlreiche Gegenstände aus Holz wie Balken, Treppen, Raumtrennungswände, Betten und Schränke haben sich dadurch erhalten. Sie lassen Rückschlüsse auf die Konstruktionsweise und die Möblierung der Häuser zu, wie sie andernorts nicht möglich sind, auch nicht in Pompeji. Nahrungsmittel wurden ebenfalls karbonisiert, so etwa verschiedene Getreidekörner, Hülsenfrüchte, Obst und sogar ein Laib Brot. Sie zeigen uns im Detail, wie sich die Bewohner damals ernährt haben.
Eine bewegende Momentaufnahme der menschlichen Tragödie liefern schliesslich die über 300 Skelette, die in den Gewölben am ehemaligen Strand entdeckt worden sind. Sie zeigen die Opfer in der Haltung zum Zeitpunkt des Todes, als der pyroklastische Strom ihren vermeintlichen Zufluchtsort erreichte. Viele Opfer weisen die sogenannte Fechterstellung auf, ein Phänomen, das in der Rechtsmedizin von Bombenexplosionen bekannt ist. Durch die extreme Hitzeeinwirkung schrumpft die Muskelmasse in Sekundenbruchteilen und der menschliche Körper wird in eine Beugehaltung gezwungen. Die grosse Zahl der Skelette ist heute ein wichtiger Bestand, der Aufschluss über die Altersstruktur, die Herkunft und den Gesundheitszustand der Opfer gibt. In Herculaneum bekommen wir ein erstaunlich detailliertes und vielschichtiges Bild vom Leben in einer antiken Stadt.
Dieses aussergewöhnliche Erbe aus der Antike beflügelten auch Amedeo Maiuri. Sein ambitiöser Plan sah vor, die Funde systematisch zu konservieren und zu restaurieren. Das Team der Ausgräber wurde von Beginn weg begleitet von Maurern und Zimmerleuten, welche die freigelegten Strukturen fortlaufend abstützten und untermauerten sowie Dekorationen und Gegenstände mit Sofortmassnahmen sicherten. Gleichzeitig liess Maiuri die antiken Häuser rekonstruieren, um den Besuchern einen «wahren» Eindruck des Lebens in Herculaneum zu vermitteln. Mauern, Säulen und Dachkonstruktionen wurden so ergänzt, wie Maiuri sie aufgrund der archäologischen Befunde interpretierte. In einer nächsten Phase sorgten Schreiner und Steinhandwerker dafür, dass die Häuser mit ausgegrabenen Objekten wie Möbelresten, Amphoren und Lampen «wiedereingerichtet» wurden. Zu diesem Zweck bauten sie vor Ort auch Vitrinen, welche die kostbarsten und fragilsten Objekte präsentierten, insbesondere aus dem alltäglichen Leben. Die Rekonstruktionen gingen sogar soweit, dass Gärten wiederbepflanzt und Skulpturen an ihre ursprüngliche Stelle gesetzt wurden. Allmählich entstand aus dem Grabungsgelände ein eigentliches Freilichtmuseum, das dem Besucher ein berührendes Erlebnis ermöglichte: den Gang durch eine «wiederbelebte» Stadt, die den Geist der Antike fassbar machte.
Maiuris Grabungskampagne, die erst Ende 1969 endgültig abgeschlossen wurde, brachte Herculaneum ans Licht. Es handelt sich dabei aber nicht um den Originalzustand der Stadt im Jahr 79 n. Chr., sondern die bewusste Komposition und Präsentation eines Archäologen. Neuere Untersuchungen in einem einzelnen Haus haben ergeben, dass lediglich 50 Prozent der sichtbaren Bausubstanz antik ist. Die andere Hälfte stammt von Rekonstruktionsarbeiten, die von aussen schwer zu lesen sind, jedoch in ausführlichen Grabungstagebüchern dokumentiert wurden. Auch der fast idyllische Blick über die Dächer der ausgegrabenen Stadt mag täuschen. 70 Prozent der Dächer sind neueren Ursprungs, von Maiuri angebracht, um Wandmalereien und Marmorfussböden darunter zu schützen. Bekannt ist ausserdem, dass der leidenschaftliche Ausgräber nicht davor zurückschreckte, Objekte aus verschiedenen Fundorten zusammenzutragen, wenn es der Erzählung einer Geschichte diente. Aus heutiger Sicht wirkt die eine oder andere Inszenierung übertrieben und genügt den modernen Standards von Ausstellungen nicht mehr. Für die damalige Zeit hingegen setzte Maiuris Ausgrabung neue Massstäbe für die weitsichtige Erhaltung und die inspirierende Präsentation archäologischer Stätten.
Besonders die Leistungen in der kontinuierlichen Instandhaltung der archäologischen Stätte können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Regelmässig war ein Team auf dem Gelände unterwegs, das kleine, aber notwendige Reinigungs- und Reparaturarbeiten vornahm, beispielsweise an Dächern oder Abflussrinnen. In den achtziger Jahren wurden diese Unterhaltsarbeiten gestoppt, was den Zerfall der antiken Reste im folgenden Jahrzehnt stark beschleunigte. Schliesslich wurden in den neunziger Jahren Gelder aus der Europäischen Union nicht in die Konservierung gesteckt, sondern für neue Ausgrabungen genutzt. In der Hoffnung, weitere Teile der Bibliothek in der Villa dei Papiri am Stadtrand von Herculaneum zu finden, wurden dort Grabungen unter freiem Himmel begonnen. Da die finanziellen Mittel schnell aufgebraucht waren, wurde der kleine freigelegte Teil der Villa ohne Konservierungsmassnahmen sich selbst überlassen.
Herculaneum ging vor den Augen der Öffentlichkeit unter, zum zweiten Mal in seiner Geschichte.
Eine diffuse Mischung von Unzulänglichkeiten im Management, Missständen in der Verwaltung und lähmenden gesetzlichen Vorschriften führten dazu, dass Herculaneum vor den Augen der Öffentlichkeit unterging, zum zweiten Mal in seiner Geschichte. Um die Jahrtausendwende waren zwei Drittel der archäologischen Stätte geschlossen, Mosaike zersprangen, Dächer stürzten ein, Fresken lösten sich von der Wand und karbonisiertes Holz zerfiel zu Staub. Das Gelände war von der Vegetation überwuchert und nistende Tauben verunreinigten die antiken Strukturen mit Kot.
2001 kam Hilfe von aussen. Das amerikanische Packard Humanities Institute bot der Soprintendenza Archeologica di Pompei, der italienischen Aufsichtsbehörde für die archäologischen Stätten am Vesuv, seine Unterstützung an. Hinter der Stiftung stand der Philantrop David W. Packard, Sohn des Mitbegründers von Hewlett-Packard, der die Verantwortung spürte, sich für Herculaneum zu engagieren. Piero Giovanni Guzzo, der damalige Direktor der Soprintendenza, ergriff die Chance sofort. Allerdings ging es beiden nicht einfach darum, Gelder an den Golf von Neapel fliessen zu lassen. Das Herculaneum Conservation Project, dem sich auch das renommierte Forschungsinstitut der British School at Rome anschloss, hatte von Anfang an das Ziel, in die langfristige Erhaltung der archäologischen Stätte zu investieren. Es wurde in den folgenden Jahren zum Vorzeigeprojekt für eine nachhaltige Konservierung archäologischer Stätten und für das Management unseres kulturellen Erbes schlechthin.
Grundlegend für das Projekt ist eine öffentlich-private Partnerschaft, welche die staatliche Aufsichtsbehörde, den privaten Mäzen sowie nationale und internationale Wissenschaftler und Berater in einem Team zusammenbringt. Eine solche innovative Partnerschaft war möglich, weil im richtigen Moment die italienische Gesetzgebung zur Vergabe von öffentlichen Arbeiten gelockert worden war. Ab 2004 konnte ein privater Partner innerhalb der Strukturen der staatlichen Aufsichtsbehörde aktiv werden und Konservierungsarbeiten auf eigene Kosten ausführen, ohne den langwierigen Vergabeprozess der Behörden zu durchlaufen. Diese Vereinfachung war entscheidend für den Erfolg, zumal der Zerfall der archäologischen Stätte ein rasches und flexibles Eingreifen erforderte.
Das Herculaneum Conservation Project wurde zum Vorzeigeprojekt für eine nachhaltige Konservierung archäologischer Stätten und für das Management unseres kulturellen Erbes schlechthin.
Das Herculaneum Conservation Project ging neue Wege. Kleine, anpassungsfähige, interdisziplinäre Teams, die hauptsächlich aus italienischen Fachleuten bestanden, arbeiteten innerhalb der traditionellen Strukturen der Soprintendenza. Auf diese Weise konnte eine aufwendige Organisationsreform vermieden sowie das Wissen aus der öffentlichen Verwaltung und der Wissenschaft zusammengeführt werden. Ausgehend von den tatsächlichen Erfordernissen, die sich auf dem archäologischen Gelände stellten, wurde in Form einer rollenden Planung Schritt für Schritt eine Erhaltungsstrategie aufgebaut. Am Anfang stand zwangsläufig ein Ziel im Vordergrund: den Zerfall verlangsamen. Unter hohem Zeitdruck mussten die wichtigsten Gründe für die fatale Situation eruiert und neue experimentelle Lösungen gefunden werden, insbesondere für wertvolle Strukturen und Dekorationen. Allerdings wollten die Projektverantwortlichen nicht nur Reparaturen an der Oberfläche ausführen, sondern das Übel an der Wurzel packen. Die Sofortmassnahmen erstreckten sich deshalb auf das ganze Gelände und waren oft von aussen kaum sichtbar. Dazu gehört beispielsweise eine flächendeckende Entwässerung. Unkontrolliert abfliessendes Regenwasser hatte Mauern und Böden zerstört. Grundwasser war hinter Fresken und Marmordekorationen gedrungen und hat sie vom Untergrund abgelöst.
Dass die Konservierungsarbeiten auch immer wieder zu aufregenden Entdeckungen führen würden, war eine Überraschung. So hatte das Projektteam die Idee, das hochentwickelte System der römischen Abwasserleitungen für die moderne Entwässerung zu nutzen. Dazu wurden die Abwasserkanäle ausgegraben, gesäubert und in Stand gesetzt. Unter einer Häuserzeile entlang des Cardo V stiessen die Archäologen auf eine 3,6 Meter hohe Leitung, die von den Römern als Abfallgrube benutzt worden war. Lampen, Gefässe und Glas waren dort ebenso entsorgt worden wie organische Küchenabfälle und Fäkalien. Bei letzteren handelt es sich um das grösste Depot organischen Abfalls aus der römischen Welt, das bisher geborgen worden ist. Anhand der Analyse dieses Materials hatten sich die Bewohner dieses Häuserblocks ziemlich ausgewogen ernährt. Oliven und Feigen, Fisch und Meeresfrüchte, Geflügel und Eier, alles was eine gesunde mediterrane Küche ausmacht. Besonders der Seeigel scheint beliebt gewesen zu sein.
Eine andere Entdeckung erfolgte dort, wo sich die alte Küstenlinie befunden hatte. Bei Wasserabpumparbeiten kam ein komplettes Holzdach zum Vorschein, das durch die Wucht der pyroklastischen Ströme auf den Strand geschleudert und durch die Hitze karbonisiert worden war. Obwohl es mit seinen sieben Meter langen Balken sehr grosse Dimensionen hatte, wurden kein einziger Nagel und nur ein paar Eisenklammern gefunden. Ganz aussergewöhnlich sind die Reste einer verzierten Holzverkleidung, die an der Innenseite des Daches angebracht war und noch Spuren der ursprünglichen Bemalung aufweist. Die zahlreichen Konservierungsmassnahmen und die Neuentdeckungen trugen wesentlich dazu bei, Herculaneum, den Vulkanausbruch und die komplexe Ausgrabungsgeschichte besser zu verstehen - unerlässliches Wissen, um die archäologische Stätte zu erhalten.
Das Projektteam machte sich schon früh daran, Instrumente für eine langfristige Erhaltungsplanung zu entwickeln, und zwar unter dem optimalen Einsatz der finanziellen Ressourcen. Schliesslich strebte das Herculaneum Conservation Project von Anfang an, das Management der archäologischen Stätte schrittweise in die Hände der Soprintendenza zurückzugeben, sobald eine Stabilisierung erreicht werden würde. In einzelnen Häusern wurden deshalb kleinräumige Pilotprojekte angelegt, anhand derer die langfristige Auswirkung von Konservierungsmassnahmen getestet werden konnte. So wurde zum Beispiel mit Prototypen für eine mittel- und langfristige Bedachung experimentiert, die nicht nur zuverlässig vor Witterungseinflüssen schützten, sondern auch kosteneffizient und einfach installierbar waren – ein wichtiger Punkt in Anbetracht dessen, dass Herculaneum keine Zufahrt hat.
Als sehr wirkungsvoll für das Erhaltungsmanagement erwies sich der Aufbau eines Geografischen Informationssystems (GIS), das die Unmengen von Daten, die täglich durch die Analyse der Schäden und die verschiedenen konservatorischen Massnahmen zusammenkamen, verarbeiten konnte. Der Vergleich von Schadenbildern im räumlichen Kontext erleichterte die Prioritätensetzung. In regelmässigen Erfolgskontrollen konnten die angewandten Lösungen auf ihre Tauglichkeit überprüft und laufend verbessert werden. Nach 15 Jahren ist der Erfolg sichtbar. Die archäologische Stätte ist in ihrem Zustand stabilisiert und die kontinuierliche Erhaltungsplanung aufgegleist. Grosse Teile des Geländes sind für das Publikum zugänglich. Heute ist die Soprintendenza wieder in der Lage, allein für Herculaneum sorgen.
Auch wenn die Konservierung zuvorderst auf der Agenda stand, verfolgte das Herculaneum Conservation Project von Beginn weg noch andere Ziele. Tatsächlich ist seine Ausrichtung zukunftsweisend, weil die archäologische Stätte in neuer Weise mit dem gesellschaftlichen Umfeld und der internationalen Interessengemeinschaft verbunden wurde. Denn was bei Herculaneum oft vergessen geht: Um das Ausgrabungsgelände befindet sich eine moderne Stadt mit etwa 55'000 Einwohnern. Zwei Welten, die untrennbar miteinander verbunden sind, auch in ihrer Entwicklung.
Das moderne Ercolano hat in den Nachkriegsjahren ein starkes Bevölkerungswachstum erfahren und wurde zu einer der am dichtesten besiedelten Städte im Einzugsgebiet von Neapel und damit von ganz Europa. Der Wachstumsprozess verlief parallel zur langen Ausgrabungskampagne von Amedeo Maiuri, der sich der problematischen Verbindung zwischen der antiken und der modernen Stadt schon früh bewusst war. So versuchte er einen Weg zu finden, um das Land, das für die Ausgrabungen enteignet worden war, zu kompensieren. Schliesslich wurden 80 Familien in neu erstellte Häuser im Süden des Ausgrabungsgeländes umgesiedelt. Eine gewisse Interaktion ergab sich auch daraus, dass viele Einwohner von Ercolano in Maiuris Kampagne Arbeit fanden und Ausgrabungs- und Unterhaltsarbeiten ausführten. Diese positiven Ansätze in der Beziehung verschwanden, als die archäologische Stätte in den achtziger Jahren zunehmend vernachlässigt wurde. Gleichzeitig litt auch die Bevölkerung immer mehr unter den wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen, mit denen Ercolano zu kämpfen hatte. Zu Beginn des neuen Jahrtausends lebten viele Familien unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosenrate betrug über 45 Prozent. Es kam zu einer Entfremdung zwischen der antiken und der modernen Stadt.
Diese Entwicklung ist besonders augenfällig an der Nordwestecke der Ausgrabungsstätte im Quartier rund um die Via Mare. Die Häuser stehen direkt an der steilen Kante des Ausgrabungsgeländes, nur durch diese Strasse und eine imposante Abgrenzungsmauer getrennt. Dennoch hatten die Menschen dieses Quartiers bis vor kurzem keinen Bezug zum antiken Herculaneum, das 15 Meter unter ihren Fenstern liegt. Sie verstanden den Wert des kulturellen Erbes vor ihrer Haustür nicht. Wie sollten sie Verständnis aufbringen für die teure Erhaltung antiker Reste, wenn ihre eigenen Häuser in schlechtem Zustand sind und ihre Kinder in ihrem Quartier kein Platz zum Spielen haben?
Die Menschen dieses Quartiers hatten bis vor kurzem keinen Bezug zum antiken Herculaneum, das 15 Meter unter ihren Fenstern liegt. Sie verstanden den Wert des kulturellen Erbes vor ihrer Haustür nicht.
Auch an diesem Punkt setzte das Herculaneum Conservation Project an und unterstützte die Gründung des Centro Herculaneum, das seit 2006 die Soprintendenza, die städtischen Behörden von Ercolano und die British School at Rome als Vertreterin der internationalen Forschungswelt unter einem Dach zusammenbringt. Das Centro Herculaneum agiert als Brücke zwischen der archäologischen Stätte und der modernen Stadt, fördert den Austausch und erarbeitet Initiativen, die beiden zugutekommen. Dazu gehört beispielweise auch ein Urbanisierungsprojekt im Quartier Via Mare. Die lokale Bevölkerung soll an der Grenze zur Ausgrabungsstätte – notabene auf dem Gelände der noch nicht freigelegten römischen Basilika - einen öffentlichen Park und einen Fussweg mit freiem Blick auf Herculaneum erhalten. Das ist ein klares Signal, dass die Soprintendenza den Fokus nicht auf weitere Grabungen legen will, wie gerade mit Blick auf die Basilika von internationalen Forschern immer wieder gefordert wird. Vielmehr geht es ihr darum, die bereits freigelegten Reste der römischen Vesuvstadt zu erhalten und ihnen einen konkreten Wert für die umliegende Gemeinschaft zu geben.
Das Herculaneum Conservation Project ist zukunftsweisend, weil die archäologische Stätte in neuer Weise mit dem gesellschaftlichen Umfeld verbunden wurde.
Im Weiteren brachte das Centro die Schüler von Ercolano mit der archäologischen Stätte in Kontakt und vermittelte ihnen einen Zugang zu den historischen Wurzeln ihrer Stadt. Oder es führte Interviews durch mit den ehemaligen Arbeitern, die an der Ausgrabungskampagne von Maiuri teilgenommen hatten. Dadurch konnten nicht nur viele Informationen über damalige Grabungs- und Konservierungstechniken in Erfahrung gebracht werden, die wiederum in die aktuelle Erhaltungsstrategie einflossen. Es wurde auch ein Dialog zwischen den Generationen angestossen, der sich auf den Zusammenhalt in der Bevölkerung positiv auswirkte. Die zahlreichen Initiativen des Centro Herculaneum laden die Einwohner von Ercolano, aber auch Wissenschaftler und Besucher aus aller Welt ein, sich mit der vitalen Rolle auseinanderzusetzen, welche das römische Herculaneum in der modernen Gesellschaft spielen kann.
Der neue Umgang mit dem einzigartigen kulturellen Erbe mitten in der Stadt ist ein Baustein auf dem Weg Ercolanos in eine bessere, eine nachhaltigere Zukunft. Er fügt sich ein in eine tiefgreifende Entwicklung, eine rivoluzione culturale, die seit 2005 in Ercolano zu beobachten ist. Damals begann Nino Daniele, der neu gewählte Bürgermeister, auf breiter Ebene den Kampf gegen die Camorra zu organisieren. Schon lange litt die Bevölkerung unter der neapolitanischen Mafia, die Unternehmer, Ladenbesitzer und Restaurantinhaber einschüchterte und zu einer Schutzgeldzahlung zwang. Die Erpressung eines Schutzgeldes ist das zentrale Instrument der Mafiafamilien, sich die Vorherrschaft über ein Territorium zu sichern. Seit dem Ende der neunziger Jahre tobte auf dem Stadtgebiet von Ercolano eine grausame Fehde zwischen zwei rivalisierenden Clans, die innerhalb weniger Jahre zu über 60 Morden führte. Daniele stand an der Spitze einer Bewegung, in der sich Bürger, Schutzorganisationen und staatliche Institutionen zusammentaten und mutig gegen die Schutzgeldzahlung an die Camorra auflehnten. Unternehmer, die sich zu einer Anzeige gegen ihre Erpresser durchrangen, erhielten Unterstützung, finanziell, aber auch vor Gericht. In einer beispiellosen Kettenreaktion traten immer mehr Bürger aus dem Schatten und erstatteten Anzeige. Prozess folgte auf Prozess, was in den letzten Jahren schliesslich mehr als 250 Mitglieder der Camorra-Clans hinter Gitter brachte. Heute ist das Schutzgeld fast vollständig aus Ercolano verschwunden, auch wenn der Kampf gegen das organisierte Verbrechen weitergeht. Ein Sinnbild dafür ist Radio Siano, ein Antimafia-Radio, das 2009 von jungen Leuten im konfiszierten Haus eines Camorra-Bosses gegründet worden war. Die Moderatoren engagieren sich jeden Tag, dass der Widerstand gegen die Camorra nicht verstummt und sich die Kultur der Legalität verbreitet.
Heute ist das Schutzgeld fast vollständig aus Ercolano verschwunden, auch wenn der Kampf gegen das organisierte Verbrechen weitergeht.
Der Erfolg gegen die Camorra ist ein starkes Zeichen für die wachsende Solidarität und den erstarkten Bürgersinn in Ercolano, obwohl die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen nach wie vor schwierig sind. Auf diesen sozialen Kräften ruht die Hoffnung, dass sie die Entwicklung der Stadt langfristig in eine neue Richtung lenken können, wenn sie von aussen unterstützt werden. Dank des Herculaneum Conservation Projects hat das kulturelle Erbe in diesem Prozess einen festen Platz, mit Vorteilen für beide Seiten.
Jüngste Nachrichten zeugen von den laufenden Anstrengungen. Mitte November 2017 hat Ercolano staatliche Gelder erhalten, um das historische Zentrum um die Piazza Pugliano zu erneuern. Der Platz besitzt für die Bewohner von Ercolano eine besondere Bedeutung, weil dort am Ende des Zweiten Weltkriegs ein Markt für gebrauchte Kleider entstand, die den in der Region stationierten amerikanischen Soldaten entwendet worden waren. In der Nachkriegszeit entwickelte sich daraus einer der berühmtesten Märkte für Vintage-Kleider, der gerne auch von den Kostümbildnern der Cinecittà aufgesucht wurde. Allerdings begann auch er unter dem Niedergang der Stadt zu leiden. Heute ist der Markt von Pugliano ein Beispiel für ein lebendiges kulturelles Erbe, das für die Identität der Bevölkerung wichtig ist. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich die neuesten Urbanisierungsmassnahmen auf diese Zone konzentrieren. Sie sind ein weiterer Schritt in dem Bestreben, das historische Zentrum und sein kulturelles Erbe zu revitalisieren und es mit dem im Bau befindlichen Park und dem Fussweg rund um die archäologische Stätte zu verbinden. In diesem Gebiet soll in Zukunft das Herz des modernen Ercolano schlagen und mit Läden und Gastronomiebetrieben für Einheimische und Touristen gleichermassen attraktiv werden.
Es ist für das antike Herculaneum wie auch für das moderne Ercolano zu wünschen, dass diese Entwicklung weitergeht.
Die bisherigen Resultate des Herculaneum Conservation Project sind sehr ermutigend. Es ist für das antike Herculaneum wie auch das moderne Ercolano zu wünschen, dass diese Entwicklung weitergeht. Bereits jetzt strahlen die positiven Erfahrungen nach aussen. Herculaneum dient als Fallbeispiel für Fachleute aus aller Welt, die sich mit der nachhaltigen Erhaltung kulturellen Erbes befassen, gerade auch in Regionen, in denen die Bevölkerung nicht unter einfachen Bedingungen lebt. Es ist ein Modell für andere archäologische Stätten, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, in Italien, im Mittelmeerraum und auf der ganzen Welt, darunter auch für die berühmte Nachbarstadt Pompeji.